Aktion „Melde dich“ gestartet
(Freiburg) Es ist ein Thema mit trauriger Aktualität in unserer Region: Sexueller Missbrauch an Kindern. Doch die jüngst öffentlich gewordenen Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Die wenigsten Fälle werden überhaupt bekannt. „Wir haben in unserer Gesellschaft noch keine Kultur, die Kindern vermittelt: Wir wollen es wissen, wenn ein Erwachsener etwas tut, was Du unangenehm findest. Wir werden Dir glauben und wir werden Dich schützen“ sagt Nils Vogelsang, Geschäftsführer der Beratungsstelle Wendepunkt in Freiburg, die sich um Betroffene kümmert.
In der Corona-Krise hat sich die Situation für betroffene Kinder sogar noch verschärft. Denn etwa die Hälfte der Fälle geschehen in der eigenen Familie oder Verwandtschaft. „Für ein Kind ist es schon unter normalen Umständen fast unmöglich, sich Hilfe zu holen, da es immer Angst haben wird, dass das Familiensystem zerbricht und dadurch alles noch schlimmer wird“, so Vogelsang. In den vergangenen Corona-Wochen jedoch sind sogar sämtliche Bezugspersonen außerhalb der Familie weggebrochen, denen Veränderungen am Gemüt oder Verhalten eines Kindes hätten auffallen können. Die bittere Schlussfolgerung: Bei Missbrauch in der Familie waren Mädchen und Jungen in den vergangenen Wochen nahezu völlig schutzlos.
„In dieser Situation haben wir gemeinsam überlegt: Was können wir tun, um die Kinder zu erreichen und zu ermutigen, sich selbst bei der Beratungsstelle Wendepunkt zu melden, wenn sie solche Erfahrungen erleiden?“ sagt Frank Schweizer vom Verein Wir helfen Kindern e.V., der sich als Initiative des Unternehmens Alexander Bürkle mit seinem Team in Freiburg gegen sexuellen Missbrauch engagiert. So entstand die Idee zur Aktion „Melde dich“, die den SC Freiburg-Fußballprofi Nicolas Höfler und seine Frau Carolin Chrobok schnell begeisterte und in ihnen Unterstützer fand: Seit dem 23. Juni sieht man in Freiburg nun Plakate an Litfaßsäulen mit dem Satz „Niemand darf dich anfassen, wenn du es nicht willst!“. Die Plakate sind der erste Baustein der Aktion. Es folgte Anfang Juli der Versand von Materialien an Freiburger Grundschulen, zusammen mit Tipps an Lehrkräfte sowie Mitarbeitende in der Schulkindbetreuung und in der Schulsozialarbeit. „Wir hoffen, dass unsere Botschaft ‚Hol dir Hilfe! Melde dich!‘ bei den Kindern ankommt“, so Nicolas Höfler, der auch mit einem kurzen Videoclip für die Aktion wirbt. „Sexueller Missbrauch ist ein Tabuthema und schambehaftet, und jeder behauptet: Bei uns gibt es das nicht! Aber das ist falsch und wir sollten offensiv damit umgehen.“
Auch Höflers Verein, der SC Freiburg, steht hinter der Aktion. „Wir freuen uns, dass wir mit Unterstützung unserer Fans, Partner und dem Engagement unseres Spielers Nicolas Höfler die sensible und wichtige Arbeit von Wendepunkt fördern können“, sagt Hanno Franke, Leiter Marketing und Gesellschaftliches Engagement beim Sport-Club. Um dies zu untermauern, spendet der SC 12.750 Euro an Wendepunkt. Diesen Betrag konnte der SC Freiburg im Rahmen seiner Weihnachtsaktion 2019 mit Unterstützung von Partnern und Fans sammeln. Er kommt dem Präventionsprojekt „Hau ab Du Angst“ zugute, das Wendepunkt an Grundschulen durchführt.
Finanziert wird die Aktion „Melde dich“ zu einem großen Teil aus Mitteln eines Soforthilfefonds des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg. Mit dem Fonds werden Fachberatungsstellen im Land unterstützt, die in den Bereichen Gewaltschutz, sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend sowie Prostitution beraten. Ziel ist es, die Arbeit der ambulanten Beratungsstellen unter Pandemiebedingungen zu stärken, etwa um die Beratungsarbeit an die Erfordernisse des Infektionsschutzes anzupassen, einer erhöhten Nachfrage gerecht zu werden oder mittels Öffentlichkeitsarbeit die Angebote noch gezielter bekannt zu machen. „Die notwendigen sozialen Einschränkungen durch die Corona-Pandemie erhöhen das Risiko für Gewalt und Missbrauch in der Familie“, so die Staatssekretärin im Ministerium für Soziales und Integration Bärbl Mielich. „Gleichzeitig sind die sonst üblichen Kontaktmöglichkeiten und damit auch die persönliche Beratung erschwert. Die Plakataktion ist deshalb ein gelungenes Beispiel dafür, wie Beratungsstellen auf diese Herausforderungen reagieren können, und ich freue mich sehr, dass das Ministerium diese wichtige Arbeit aus Mitteln unseres Soforthilfefonds unterstützen kann.“