Grenzüberschreitendes Wirtschaftsbündnis
(Villingen-Schwenningen) Trotz des massiven Investitionshochlaufs verzögert sich der Ausbau der Schienenstrecke Stuttgart-Zürich seit Jahrzehnten. Das will die Wirtschaft entlang dieser Achse nicht länger hinnehmen und hat sich auf Initiative der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwarzwald-Baar-Heuberg zu einem grenzüberschreitenden Wirtschaftsbündnis mit deutschen und schweizerischen Verbänden zusammengeschlossen. Die insgesamt zwölf Verbände repräsentieren rund 430.000 Unternehmen.
Nun hat sich die Initiative beim Rietheim-Weilheimer Mechatronik-Spezialisten Marquardt der Presse vorgestellt. Das Bündnis übe zurecht und zu einem günstigen Zeitpunkt Druck auf die Politik und die Deutsche Bahn aus, sagt der Landes-Justizminister und Vertreter des Interessenverbands Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn, Guido Wolf: „Der Ausbau dauert schon viel zu lange.“
Es gleiche einer Verzögerungstaktik, wie das Bundesverkehrsministerium und die Deutsche Bahn vorgehen, kritisiert Birgit Hakenjos-Boyd, Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Sie fordert eine leistungsfähige Verbindungsachse für die beiden Wirtschaftsräume, eine funktionierende Zulaufstrecke für den Gotthard-Tunnel und für die Neue Eisenbahn-Alpentransversale in der Schweiz sowie eine leistungsfähige Kapazitätsreserve für die überlastete Rheintalbahn und eine Ausweichstrecke bei Störfällen wie bei Rastatt im Jahr 2017: „Der Bundesverkehrswegeplan muss bis Ende der Laufzeit 2030 umgesetzt sein.“
„Wäre Pendeln mit dem Zug eine echte Alternative, würde das uns und alle Arbeitgeber zwischen Stuttgart und Zürich noch attraktiver machen“, verdeutlicht Harald Marquardt stellvertretend für die Industrie, warum er sich für den Schienenausbau einsetzt. Von seinen 2.500 Mitarbeiter am Standort Rietheim-Weilheim würden die wenigsten im Ort wohnen. Auch zu den Flughäfen in Stuttgart und Zürich würden seine Mitarbeiter wegen der schlechten Zuganbindung fast ausschließlich mit dem Auto gelangen. „Wir haben jetzt wirklich die Nase voll und fühlen uns abgehängt.“
Doch nicht nur in Anbetracht der Pendler sei der zweispurige Ausbau des Bahnabschnitts unumgänglich. Neben dem Fachkräftemangel spricht Andrea Marongiu vom Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg auch die staubedingten Qualitätsverluste sowie die Flächen für Logistik an. 71 Prozent der Logistik finde auf der Straße statt, nur 19 Prozent auf der Schiene und zehn Prozent in der Binnenschifffahrt. „Auf der Straße sehen wir den Stau, auf der Schiene nicht – aber er ist da“, bemängelt Marongiu. Die Schweiz habe ihre Hausaufgaben gemacht, aber für Deutschland sei es eine Schande, so lange hinterherzuhinken.
Ins gleiche Horn stößt Kurt Lanz von economiesuisse: Es werde Zeit, dass das Bekenntnis zum Schienenausbau aus dem Jahr 1996 endlich umgesetzt werde. 40 Millionen Tonnen würden jährlich im Güterverkehr verlässlich und klimafreundlich über die Alpen transportiert – das sei allerdings nur halb so viel wert, wenn der Güterverkehr jenseits der Alpen nicht weitergehe. „Insbesondere ermöglicht der Streckenausbau, dass die Neue Eisenbahn-Alpentransversale mit dem Gotthard-Basistunnel sowie ihren weiteren Ausbauschritten Ceneri-Basistunnel und Zimmerberg-Basistunnel ihr volles Potenzial entfalten kann“, sagt Regine Sauter, Nationalrätin und Direktorin der Zürcher Handelskammer.
Hansruedi Werner, Spedlogswiss & IVS Industrie- und Wirtschaftsvereinigung in Schaffhausen, ergänzt: „Baden-Württemberg ist für die Schweiz mit Abstand der wichtigste Handelspartner. Wir brauchen jetzt die umweltverträglichen und zuverlässigen Verkehrswege.“ Ralf Bopp von der Handelskammer Deutschland-Schweiz berichtet, dass zwar riesige Mengen über die Grenze bewegt würden; jedoch sei nicht nur die Quantität wichtig, sondern auch die Qualität – nämlich Zuverlässigkeit und Vertrauen.
Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, bringt einen weiteren Aspekt der Gäubahn aufs Tableau: Es gehe nicht nur um die Industrie, sondern auch um den Tourismus. Die Schienenverbindung sei so schlecht, dass die Bahnreisenden immer weniger würden und damit der verzögerte Ausbau begründet würde. „Aus dieser Teufelsspirale müssen wir ausbrechen“, sagt Albiez. Minister Wolf scherzt, das Bündnis solle vielleicht mit „Mondays for Gäubahn“ für den Schienenausbau kämpfen, so wie Schüler mit „Fridays for Future“ für die Umwelt. Mit ihrem grenzüberschreitenden Wirtschaftsbündnis wendet sich die Initiative nun direkt an das Bundesverkehrsministerium und die Deutsche Bahn. „Wir geben uns nicht mehr länger zufrieden mit Lippenbekenntnissen. Die Wirtschaft braucht Transparenz und Planbarkeit“, sagt Hakenjos-Boyd. Sie wolle aber auch die Verantwortlichen zu Gesprächen einladen und ihre konstruktive Mitarbeit anbieten.
Das grenzüberschreitende Bündnis aus der Wirtschaft zum Ausbau der Schienenachse Stuttgart-Zürich besteht aus den IHKs Schwarzwald-Baar-Heuberg, Region Stuttgart, Reutlingen, Nordschwarzwald und Hochrhein-Bodensee sowie dem VSL Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg und dem Interessenverband Gäu-Neckar-Bodenseebahn. Aus der Schweiz wird die Initiative unterstützt vom Schweizerischen Dachverband der Wirtschaft economiesuisse, dem Speditionsverband Spedlogswiss, der Handelskammer Deutschland-Schweiz, der Zürcher Handelskammer sowie der Industrie- und Wirtschaftsvereinigung Schaffhausen.