Größter Konjunktureinbruch seit der Finanzkrise
(Freiburg) Die langen Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs am Oberrhein haben mit der Covid-19-Pandemie sowie den getroffenen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung ein jähes Ende gefunden. Zwar ist die Region Südlicher Oberrhein insgesamt weniger stark betroffen, dennoch verzeichnen 37 Prozent der von der IHK befragten Unternehmen eine schlechte Geschäftslage. Einen derartigen Sturz hat es bei der Geschäftslage bisher noch nie gegeben.
Nie zuvor hat eine Krise die Geschäftslage der Unternehmen so abrupt in den Keller gerissen, wie es ab März dieses Jahres der Fall war. Von 33 Punkten stürzt der Index der Geschäftslage auf -17 Punkte ab. Einen ähnlich tiefen Stand hat der Index bisher nur auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise 2009 und zu Zeiten der Rezession der Jahre 2002/2003 verzeichnet. Einen Sturz um 50 Punkte im Vergleich zur vorausgegangenen Befragung hat es bei der Geschäftslage jedoch bisher noch nie gegeben. Nur noch 22 Prozent der Unternehmen bezeichnen die eigene Geschäftslage als gut, für 39 Prozent ist sie hingegen schlecht. „Der Abstieg erfolgte mit der Covid-19-Pandemie viel stärker und schneller als während der Finanzkrise. Und während 2009 vor allem die Finanzen und Industrie betroffen waren, schlägt die Krise nun quasi über alle Branchen hinweg ein. Daher führt an einer tiefen Rezension kein Weg vorbei“, sagt Steffen Auer, Präsident der IHK Südlicher Oberrhein bei der Präsentation der Ergebnisse der IHK-Konjunkturumfrage zum Sommer 2020.
Während die plötzlichen Verwerfungen die Wirtschaft hart getroffen haben, stellt sich vor allem die Frage nach der konjunkturellen Erholung. Hier schrauben die Unternehmen ihre Erwartungen zurück: der Index der Geschäftserwartungen verliert 32 Punkte und landet nun bei -20 Punkten. In Folge der schlechten Geschäftslage und der von Pessimismus geprägten Geschäftserwartungen fällt der IHK-Konjunkturklimaindex auf 82 Punkte und damit auf den tiefsten Stand seit elf Jahren.
Auch der Arbeitsmarkt ist von dem Einbruch betroffen. Unternehmen legen ihre Pläne zur Personalanwerbung zunächst auf Eis. So fällt der Index der erwarteten Beschäftigung mit -28 Punkten weit in den negativen Bereich. Gerade einmal acht Prozent der Unternehmen wollen in der Krise ihren Personalstamm erweitern. Demgegenüber stehen 36 Prozent, die einen Stellenabbau planen. Die Arbeitslosenquote im Kammerbezirk hat sich in Folge der Krise ebenfalls erhöht: lag sie zu Jahresbeginn noch bei 3,5 Prozent, waren im Juni schon 4,1 Prozent arbeitslos gemeldet. „Die Anmeldung von Kurzarbeit, einfachere Kreditvergaben und Zuschüsse wie die Soforthilfe haben noch geholfen, diese Zahl abzupuffern“, ergänzt Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein. Deutliche Zurückhaltung ist zudem bei Investitionen zu spüren. Nur noch 14 Prozent der Betriebe planen, ihre Investitionen auszuweiten. Demgegenüber stehen 40 Prozent, die diese verringern werden.
Bei der Frage nach wirtschaftlichen Risiken dominiert nicht wie in den vergangenen Jahren der Fachkräftemangel. Stattdessen bereiten nun vor allem die Nachfrageausfälle den Unternehmen Sorgen. So schnellt die Sorge um die Inlandsnachfrage von 44 Prozent zu Jahresbeginn auf 63 Prozent hoch, jene um die Auslandsnachfrage von 26 Prozent auf 39 Prozent.
Beim Blick in die Branchen zeigen sich klare Unterschiede: die Lage bei den Dienstleistern scheint etwas weniger dramatisch. „Hierbei muss berücksichtigt werden, dass zu den Dienstleistern auch die Bauwirtschaft zählt, die weniger betroffen scheint“, erläutert Auer. Für große Teile der Händler hatte die Covid-19-Pandemie ebenfalls schwere Auswirkungen. Teilt man die Branche allerdings in Groß- und Einzelhandel auf, zeigen sich große Unterschiede hinsichtlich der Lagebewertung. Während im Großhandel nur 21 Prozent der Betriebe eine schlechte Geschäftslage angeben, ist es im Einzelhandel jedes zweite Unternehmen.
Schwere Einbußen verzeichnet die Industrie. Der weltweite Einbruch der Nachfrage führt zu einem Absturz des Index der Geschäftslage von 22 auf -38 Punkte – der tiefste Wert seit der globalen Finanzkrise und der bisher abrupteste Rückgang des Index. Hier ergeben sich jedoch innerhalb der Branche große Unterschiede. „Während es den Zulieferern im Baugewerbe gut geht, verzeichnen die Maschinenbauer und Zulieferer der Autoindustrie große Einbußen. Die Krise hat den bevorstehenden Wandel der Automobilbranche hin zur Elektrifizierung stark beschleunigt“, weiß Stephan Wilcken, Geschäftsführer von Südwestmetall für die Bezirksgruppe Freiburg. Anders als im Gebiet Rhein-Neckar oder dem Stuttgarter Raum sei die Lage schwierig, aber noch nicht dramatisch.
In der Ortenau standen Industriebetriebe vor weiteren Herausforderungen. „In der Hochzeit der Corona-Krise bestand das Hauptproblem darin, Arbeitskräfte aus dem Elsass zu beschäftigen. Es gab drei bis vier verschiedene Formulare und wöchentlich änderten sich die Bestimmungen dafür. Da das Elsass besonders stark von der Ausbreitung der Pandemie betroffen war, verzeichneten wir außerdem im eigenen Betrieb nach sechs Wochen einen Krankenstand von 20 Prozent“, erzählt Andreas Truttenbach, Geschäftsführer von RMA Rheinau.
Der größte Leidtragende der Krise ist jedoch das Hotel- und Gastgewerbe. Hier bezeichnen 85 Prozent der Unternehmen die eigene Geschäftslage als schlecht. „Während des Lockdowns gab es fast keinen Umsatz. Dies führte beim Hotel Stadt Freiburg und im Colombi zu einem Umsatzrückgang von 48 Prozent“, berichtet Geschäftsleiterin Kirsten Moser. Nach dem Lockdown muss in der Region differenziert werden zwischen Betrieben auf dem Land und Stadthotels. „Während kleinere Einheiten auf dem Land und auch Ferienwohnungen es einfacher haben und wieder mehr Besucher verzeichnen, sieht die Lage in der Stadt dramatisch aus. Tagungen, Kongresse, Veranstaltungen sind eingebrochen, es kommen keine Busreisegruppen oder ausländische Patienten. Das führt zu massiven Einbußen“, erklärt Moser.
Abschließend warf der IHK-Präsident noch einen Blick über den regionalen Tellerrand. „60 Prozent der Im- und Exporte macht die deutsche Wirtschaft mit anderen EU-Ländern. Daher brauchen wir ein Gesamtprogramm an Wirtschaftshilfen für Europa, das nicht nur Darlehen, sondern auch Zuschüsse für die Länder beinhaltet, die mit uns Handel treiben“, erklärt Auer. Somit könnte die Krise auch eine Chance bieten: „Jetzt wäre die ideale Gelegenheit, Europa weiterzuentwickeln und gemeinsam auch als europäischer Wirtschaftsraum mehr zusammen zu wachsen.“