Konjunktur vor Abschwung?
(Freiburg) Ruhe vor dem Sturm? Noch schlagen sich Krieg und zahlreiche Krisen nicht in den aktuellen Zahlen der Industrie nieder. Trotz der gefährlichen Mischung aus Ukraine-Krieg, Energiepreis-Schocks, destruktivem russischen Gas-Roulette, Engpässen bei Elektronikkomponenten, Vormaterial und Personal und einer daraus resultierenden Rekordinflation verlief das Jahr für die Unternehmen bisher gut und weitaus besser als befürchtet.
Corona macht in Europa keine Schlagzeilen mehr, aber China – unverzichtbarer Beschaffungs- und Absatzmarkt der Industrie – ist noch nicht über den Berg.
„Fast alle Zukunfts-Indikatoren aus Politik und Wirtschaft zeigen in besorgniserregende Richtungen“, so wvib-Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer.
Die Mitgliedsunternehmen der wvib Schwarzwald AG vermeldeten für das erste Halbjahr 2022 einen Umsatzzuwachs von durchschnittlich 13,7 Prozent (1. HJ 2021: 15,2 Prozent).
Wenn wir die realen Gütermengen erfassen möchten, müssen wir von diesem Umsatzplus allerdings die beträchtliche Inflation abziehen. Die Preissteigerungen sind in der Industrie zum Teil weitaus höher ausgefallen als beim Konsumenten-Preis-Index, der derzeit bei acht Prozent liegt.
Der konjunkturelle Trend zeigt auch deshalb bislang weiter nach oben. Die Unternehmen kämpfen weiterhin mit Materialengpässen und mit offenen Stellen in vielen Bereichen. Die wenigen, die gerade ordnungsgemäß liefern können, profitieren davon. Die Mehrheit leidet unter Versorgungsmängeln, schlechter Logistik, Umplanungen, Redesign von Produkten und Margenerosion durch gestiegene Energie- und Materialkosten, die nicht leicht weitergegeben werden können.
Viele Unternehmen, vor allem Automobilzulieferer, die in der Schwarzwald AG ein Drittel der Wertschöpfung ausmachen, sind durch die ruppigen Machtverhältnisse in ihrer Branche besonders gefährdet. „Der Preiskampf hat weiter an Härte zugelegt. Wenn Automobilhersteller ihre Preise saftig erhöhen und selbst Rekordergebnisse verkünden und gleichzeitig ihren langjährigen Zulieferern keinen Ausgleich etwa für steigende Energie- oder Personalkosten gewähren, sind die Lasten auf dem Tandem Hersteller-Zulieferer unfair verteilt“, so Münzer.
Zurück zum Gesamtbild: Knapp 79 Prozent der befragten Unternehmen vermeldeten im ersten Halbjahr 2022 gestiegene Umsätze – im ersten Halbjahr 2021 war dies bei 71 Prozent der Fall. Gesunkene Umsätze gaben dagegen nur 19,5 Prozent der Unternehmen an, im Vorjahreszeitraum mussten über 27 Prozent ein Minus hinnehmen. Lediglich 1,5 Prozent meldeten keine Veränderung.
Branchenübergreifend ist beim Auftragseingang nur ein kleines Plus zu verzeichnen: Wo die Schwarzwald AG im Vorjahreszeitraum ein Plus von 28,7 Prozent angeben konnte, stehen heute nur noch 11,4 Prozent. Bei 65 Prozent der Unternehmen verbesserte sich der Auftragseingang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, während 15,3 Prozent gleichbleibende Aufträge verzeichneten und 20 Prozent einen Rückgang. Im ersten Halbjahr 2021 vermeldeten nur zwölf Prozent sinkende Aufträge.
Beim Blick in die Zukunft geben sich die Unternehmen der Schwarzwald AG weiterhin optimistisch. 35,3 Prozent erwarten in den nächsten sechs Monaten steigende Umsätze (erstes Halbjahr 2021: 44 Prozent), während 48,2 Prozent keine Veränderung erwarten (erstes Halbjahr 2021: 48 Prozent). Mit sinkenden Umsätzen rechnen dagegen 16,5 Prozent der Unternehmen. In der Umfrage vom Sommer des letzten Jahres gingen für das zweite Halbjahr 2021 noch acht Prozent von sinkenden Umsätzen aus.
Betrachtet man die Umsatzentwicklung differenziert, ergibt sich naturgemäß ein heterogenes Bild: Die wvib-Branchencluster Automotive (10,2 Prozent), Maschinenbau (10,4 Prozent) und Medizintechnik (12,9 Prozent) liegen mit ihren Umsatzzuwächsen im ersten Halbjahr 2022 unter dem Wert über alle Branchen hinweg (13,7 Prozent).
Beim Blick in die Zukunft ergibt sich in den Clustern ein gemischtes Bild: Rechnen über alle Branchen hinweg 35,3 Prozent mit steigenden Umsätzen, gehen im Automotive-Cluster nur 29 Prozent, im Maschinenbau 44,4 Prozent und in der Medizintechnik 38,5 Prozent davon aus.
Überdurchschnittlich gut entwickelte sich die Mess- und Regeltechnik mit einem Plus von 19 Prozent. Mit weiter steigenden Umsätzen rechnet hier ebenfalls mehr als der Schnitt der Unternehmen, nämlich 38,7 Prozent.
Schlusslicht ist die Kunststoffbranche. Hier konnten die Unternehmen nur um 8,7 Prozent gestiegene Umsätze vermelden. Auch für die Zukunft ist der Blick in der Kunststoffbranche eher verhalten: In der Branche rechnen nur 31 Prozent mit steigenden Umsätzen.
Beim Auftragseingang ist der Blick auf die Zukunft zurückhaltend. Aktuell erwarten nur noch 22,6 Prozent der befragten Unternehmen einen weiter steigenden Auftragseingang, wohingegen im Sommer 2021 26,6 Prozent von steigendem Auftragseingang ausgingen. Dagegen rechnen über 49 Prozent mit unveränderten Auftragseingängen (erstes Halbjahr 2021: 58,2 Prozent), während 28 Prozent für die nächsten sechs Monate mit sinkendem Auftragseingang rechnen (erstes Halbjahr 2021: 15 Prozent).
Diese Tendenzen spiegeln sich auch in der Einschätzung der Ertragslage: 32,5 Prozent der Unternehmen berichteten von einer guten Ertragslage (erstes Halbjahr 2021: 44,3 Prozent) und 52 Prozent beobachten keine Veränderung (erstes Halbjahr 2021: 43,6 Prozent). 15,5 Prozent meldeten eine verschlechterte Ertragslage (erstes Halbjahr 2021: zwölf Prozent).
Der Mangel an Fach- und Arbeitskräften ist auch im ersten Halbjahr 2022 weiter deutlich zu spüren. Dennoch konnten 58,8 Prozent der Unternehmen ihre Belegschaft vergrößern (erstes Halbjahr 2021: 51 Prozent), während 30,8 Prozent sinkende Beschäftigungszahlen verzeichneten (erstes Halbjahr 2021: 36 %). Bei 10,4 Prozent der Befragten hat sich die Zahl der Beschäftigten nicht verändert.
In den Prognosen zur Entwicklung der Mitarbeiterzahl geben sich die Unternehmen optimistisch – hier rechnen die wenigsten mit sinkenden, 38,4 Prozent erwarten weiter steigende Zahlen, 56,3 Prozent gehen von einem gleichbleibenden Personalstamm aus, nur knapp fünf Prozent von einem Rückgang der Mitarbeiterzahl. In der letzten Sommerumfrage rechneten sieben Prozent mit einer negativen Entwicklung.
Der Blick auf die Kapazitätsauslastung: 25,2 Prozent vermeldeten eine verbesserte Auslastung, bei 37,3 Prozent blieb diese gleich. 37,5 Prozent meldeten dagegen eine verschlechterte Auslastung. Im Sommer 2021 gaben noch 36 Prozent der Befragten eine verschlechterte Auslastung an, während nur 21 Prozent eine Verbesserung vermeldeten.
Die durchschnittliche Investitionsquote gemessen am Umsatz ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Sie stieg von 3,9 auf 4,9 Prozent. 33 Prozent der Befragten rechnen in den nächsten sechs Monaten mit einem Anstieg der Investitionen. Im Vorjahr gingen dagegen 38 Prozent von steigenden Investitionen aus. Knapp 13 Prozent rechnen damit, dass sie sinken.
Mit der Zusatzfrage zur Konjunkturumfrage haben wir abgefragt, in welcher Form die Unternehmen gestiegene Kosten an ihre Kunden weitergeben können.
Das Ergebnis: 57 Prozent der Unternehmen können gestiegene Kosten zu mehr als der Hälfte weitergeben, 34 Prozent zu weniger als der Hälfte. Neun Prozent der Unternehmen können gestiegene Kosten überhaupt nicht an ihre Kunden weitergeben.
Wie gut die Umwälzung von gestiegenen Kosten im Einzelnen möglich ist, hängt von den Materialien und der Branche ab. Am ehesten lassen sich – so eine Erkenntnis der Zusatzfrage – gestiegene Einkaufskosten für Metalle und Kunststoffe weitergeben. Deutlich schlechter ist die Lage bei den Kosten für Elektronikbauteile sowie bei gestiegenen Lohn- und Energiepreisen. Gerade hier ließen sich in den letzten Monaten besonders große Preissprünge beobachten.
Von vielen Unternehmen – auch von einigen, die mit ihren Geschäftszweigen in verschiedenen Branchen aktiv sind – wird berichtet, dass es in der Automobilbranche ungleich schwieriger ist, gestiegene Preise weiterzugeben. Wo etwa im Maschinenbau noch partnerschaftlich versucht werde, mit der Inflation fertig zu werden, beharren Markenhersteller der Automobilbranche stur auf alten Verträgen.
Während es einigen Branchen verhältnismäßig gut geht und einzelne Unternehmen vielleicht sogar profitieren, geraten andere durch diese Entwicklung in ernsthafte Schwierigkeiten.
Fazit von wvib-Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer: „Putins Angriff auf die Ukraine hat die großen Konjunkturhoffnungen vom Anfang des Jahres zerstört. Der politisch ausgelöste Energiepreisschock, das fortgesetzte russische Gas-Roulette, die Chipkrise, der demographisch bedingte Arbeitskräftemangel und die erforderlichen Transformationen rund um Mobilität und CO2-Einsparungen treiben nun einen großen Wandel mit Chancen und Risiken. Aus den beiden Ölkrisen in den 70er- und 80er-Jahren kann man lernen, dass fiskalische Vorsicht (Schuldenbremse) und eine restriktivere Geldpolitik (höhere Zinsen) zusammen mit damals viel zu spät erfolgten Strukturreformen nachhaltiger wirken als schuldenfinanzierte Rund-um-Sorglos-Pakete für jedermann. Auch die Tarifpartner tragen in diesem Herbst eine besonders große Verantwortung für die weitere Entwicklung der Inflation. Schlussendlich muss man fragen, ob wir die letzten drei verbleibenden Kernkraftwerke in Deutschland genau dann abschalten, wenn kein Gas mehr kommt.“