28.07.2023 13:03

Schlechte Stimmung in der Industrie

(Bad Krozingen) Die Stimmung der Industrie ist so schlecht wie lange nicht. Auf den ersten Blick erscheinen die Umsätze der Industrie vergleichsweise gut – in den Prognosen für die nächsten Monate sind die Unternehmen der Schwarzwald AG aber so pessimistisch wie seit Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr. Glaubt man den Umfrageergebnissen, so wird sich die Schwächephase der Industrie verschärfen.

Wvib-Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer in Bad Krozingen: „Deutschland steckt in der Rezession. Die Schwarzwald AG hat sich in den vergangenen Monaten in einem schwierigen Umfeld gut geschlagen, aber die Prognosen lassen Schlimmes befürchten. Ein holpriger Streckenabschnitt steht uns bevor. Der strukturell geschwächte Organismus der Bundesrepublik wird von den akuten Krisen viel stärker getroffen. Die Kombination ist ein toxischer Krisencocktail. Hohe Energiekosten am Standort, Steuern, Fachkräftemangel und eine lähmende Bürokratie belasten die Unternehmen schon länger – dazu kommen gestiegene Zinsen, Inflation, eine schwächelnde Weltwirtschaft und eine zerstrittene Bundesregierung. Zum konjunkturellen Pech kommt auch noch strukturelles Unglück hinzu.“

Für das erste Halbjahr des laufenden Jahres meldeten die wvib-Mitgliedsunternehmen ein durchschnittliches – nominales – Umsatzwachstum von 13,1 Prozent (1. HJ 2022: 13,7 Prozent). Dieser Wert ist allerdings – wie in den vergangenen wvib-Konjunkturumfragen – nicht inflationsbereinigt.

Auch im Detail hat sich die Umsatzentwicklung verändert: So vermeldeten knapp 72,1 Prozent der befragten Unternehmen gestiegene Umsätze. Im ersten Halbjahr 2022 war dies bei 79,1 Prozent der Unternehmen der Fall. Gesunkene Umsätze meldeten in der aktuellen Umfrage 20,5 Prozent der Unternehmen. Im ersten Halbjahr 2022 waren es 19 Prozent.

Auch wenn die Umsatzentwicklung weiter positiv ist – die Erwartungen sind es nicht: 32,6 Prozent der befragten Unternehmen rechnen in den nächsten sechs Monaten mit sinkenden Umsätzen – dagegen erwarten nur 28,4 Prozent steigende Umsätze. Der Rest – 39 Prozent – erwartet keine Veränderung.

Verrechnet man positive und negative Umsatzentwicklung, so erhält man den Wert zur Geschäftslage. Die Geschäftserwartung ist analog dazu der Saldo aus positiver und negativer Umsatzerwartung. Aus dem Mittel zwischen Geschäftslage und Geschäftserwartung bildet sich – wie von anderen Konjunkturumfragen bekannt – das wvib-Geschäftsklima.

Das Geschäftsklima sackt ab: Aktuell liegt das wvib-Geschäftsklima bei 22 Punkten. Zum Ende des Jahres 2022 lag es bei 47,1 Punkten. Bemerkenswert: Lage und Erwartung gehen so weit auseinander wie schon lange nicht mehr. Zum Ende des ersten Halbjahrs 2023 lag die wvib-Geschäftslage bei 51,7 Punkten. Zum Gesamtjahr stand dieser Wert noch bei 63,4 Punkten. Deutlich drastischer ist das Bild bei der Geschäftserwartung: Aktuell ist diese mit minus 4,2 Punkten erstmals seit dem 1. Halbjahr 2020 wieder negativ. In der Umfrage zum Gesamtjahr lag der Wert bei 31,8 Punkten.

Zwischen den einzelnen wvib-Branchenclustern gibt es deutliche Unterschiede: Maschinenbau (17,6 Prozent) sowie Mess- und Regeltechnik (15,8 Prozent) liegen mit ihren Umsätzen deutlich über dem Durchschnitt. Darunter liegen dagegen die Branchen Automotive (11,4 Prozent), Elektrotechnik (12,6 Prozent), Kunststoff (5,3 Prozent), Medizintechnik (12,1 Prozent) und Metallverarbeitung (8,2 Prozent).

Am zuversichtlichsten blicken Medizintechnik und Mess- und Regeltechnik in die Zukunft: Jeweils 45,7 Prozent der befragten Unternehmen rechnen in den nächsten sechs Monaten mit steigenden Umsätzen. Im Maschinenbau ist man ebenfalls positiv: 32,9 Prozent gehen von steigenden Umsätzen aus. Andere Branchen sind deutlich pessimistischer. Allen voran die Autozulieferer: Nur noch 14 Prozent der befragten Unternehmen aus dieser Branche rechnen weiter mit steigenden Umsätzen. Geringfügig besser sind die Aussichten in der Metallverarbeitungs-Branche (17,7 Prozent) und unter den Kunststoffunternehmen (20,7 Prozent). Etwas besser steht die Elektrotechnik mit 24,3 Prozent da.

Entsprechend weit auseinander geht das Geschäftsklima in den einzelnen Clustern. Im Automotive-Cluster liegt es derzeit bei minus 0,5 Punkten. Zum Gesamtjahr betrug der Wert noch 49,4 Punkte. Während die Geschäftslage mit 48,7 Punkten noch gut ist, drückt die schlechte Geschäftserwartung (minus 40 Punkte) massiv auf den Index.

Im Maschinenbau ist die Lage etwas besser: Hier liegt das Geschäftsklima bei 33,8 Punkten und damit deutlich über dem Durchschnitt von 22 Punkten. Vor sechs Monaten lag der Index allerdings bei 46,3 Punkten. Vergleichsweise gut geht es auch der Medizintechnik: Mit 36,9 Punkten ist die Geschäftslage hier sogar noch besser. Die Geschäftserwartungen der Branche (20 Punkte) sind ebenfalls besser als im Maschinenbau (13,2 Punkte).

Weniger gut ist der Index dagegen bei den Kunststoffunternehmen (9,4 Punkte, im Vergleich zu 45,4 Punkten vor sechs Monaten) und unter den energieintensiven Metallverarbeitern (minus 2,97 Punkte, im Vergleich zu 39,5 Punkten vor sechs Monaten).

In beiden Branchen drücken vor allem die düsteren Aussichten auf den Index. Die Kunststoff-Branche beurteilt die Geschäftserwartung (minus 17,2) nicht ganz so absolut pessimistisch wie die energieintensiven Metallunternehmen (minus 32,9 Punkte).

Die maue Geschäftserwartung ist keine dauerverzerrte Wahrnehmung chronisch pessimistischer Kaufleute. Die Stimmung hat Gründe: Die Auftragseingänge sind in den vergangenen sechs Monaten deutlich zurückgegangen. Wo zum Gesamtjahr 2022 noch ein Plus von 6,4 Prozent stand, ergab die Konjunkturumfrage in den ersten sechs Monaten ein Minus von 2,2 Prozent.

Bei 46,5 Prozent der Befragten verschlechterte sich der Auftragseingang, während nur 38,4 Prozent einen verbesserten Auftragseingang vermeldeten. Der Blick in die Zukunft der Auftragseingänge ist pessimistisch: Nur noch 23 Prozent rechnen in den nächsten sechs Monaten mit steigenden, 37,5 Prozent mit sinkenden Umsätzen.

Auf die Frage "Wie beurteilen Sie die aktuelle Ertragslage?" antworteten 35,3 Prozent der befragten Unternehmen mit "gut", 45,1 Prozent mit "befriedigend" und 19,6 Prozent mit "schlecht". Zugleich gehen 13,5 Prozent von einer Verbesserung des Ertrages aus, 26,7 Prozent rechnen dagegen mit fallenden Erträgen. Ertragslage und -prognose haben sich damit im Vergleich zu vorherigen Umfragen kaum verändert.

Der Fachkräftemangel ist ein Hauptgrund, warum die konjunkturelle Schlagseite nicht in der breiten Bevölkerung ankommt. Solange die Arbeitslosenzahlen niedrig sind, gibt es – so die verbreitete Meinung – keinen Grund zur Sorge. Auf die Personalpolitik der Unternehmen hat die Lage bislang nur geringe Auswirkungen. 51,3 Prozent der befragten Unternehmen haben ihre Belegschaft vergrößert, während 36,5 Prozent sinkende Beschäftigtenzahlen meldeten.

Die Prognosen zur Entwicklung der Mitarbeiterzahl sind relativ stabil: 28,8 Prozent rechnen mit einer vergrößerten Belegschaft. Knapp 13,8 Prozent erwarten dagegen einen Rückgang – gegenüber 5,7 Prozent im Vorjahreszeitraum.

Auch in der Kapazitätsauslastung der Schwarzwald AG spiegelt sich die Rezession: Nur 16,8 Prozent vermeldeten eine sehr hohe Auslastung, 47,9 Prozent dagegen eine zu geringe Auslastung.

Die Investitionsquote der Unternehmen hat sich dagegen kaum verändert: In den ersten sechs Monaten lag sie bei rund 6 Prozent – im ersten Halbjahr 2022 bei 4,9 Prozent.

Aus der Industrie geht ein blauer Brief an die Bundesregierung: Die Antwort auf die CEO-Zusatzfrage „Welche Schulnote würden Sie der Bundesregierung geben?“ ist Beleg für die große Unzufriedenheit der Entscheider mit der Standortpolitik der Bundesregierung. Durchschnittsnote: 4,66. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch das sogenannte Elite-Panel der Meinungsforscher aus Allensbach.

Besonders großen Nachholbedarf gibt es nach Meinung der Unternehmensführerinnen und -führer bei den Themen Energiepolitik und Bürokratie. Aber auch bei Digitalisierung und Bildung stellen die befragten Unternehmer große Defizite fest. Weniger politischen Nachholbedarf sehen die Befragten in den Politikbereichen Klimaschutz, Verteidigung und Innere Sicherheit.

Ausblick

Der Ausblick von wvib-Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer: „Wenn in Berlin der politische Betrieb wieder startet, muss es darum gehen, wie man diesen Abschwung wirkungsvoll bekämpft. Der Standort Deutschland rutscht international stetig weiter ab. Die Bundesregierung hat den Schuss noch nicht gehört. Mit „Wumms“, Dirigismus, Subventionen und noch mehr Mikromanagement wird das nicht klappen.“

In einem Papier haben die Gremien der Schwarzwald AG kürzlich ihrem Ärger Luft gemacht. Die Kurzfassung: Es bringt nichts, die Marktwirtschaft zu bekämpfen. Stattdessen braucht es die marktbasierten Instrumente der Ökosozialen Marktwirtschaft und eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik.