Schwächephase in der Wirtschaft möglich
Die Industrie im Südwesten hat sich im vergangenen Jahr deutlich besser geschlagen als befürchtet. Auch die Prognosen verbessern sich zunehmend.
Dennoch besteht die Sorge vor einer möglichen Stagflation, der Kombination aus wirtschaftlichem Stillstand und hoher Teuerung. Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer: „Wir sind vermutlich – mit viel Glück – aus dem Gröbsten raus. Durch den milden Winter konnten wir Energie einsparen und kamen um die Gasmangellage herum. Wir dürfen uns nicht auf Zufälle verlassen: Der Industriestandort Deutschland braucht wettbewerbsfähige Energiepreise, eine zuverlässige Infrastruktur, eine unkompliziertere, schnellere Verwaltung und mehr qualifizierte Arbeitskräfte durch gesteuerte Zuwanderung.“
Für das Jahr 2022 meldeten die wvib-Mitgliedsunternehmen ein nominales Umsatzplus von durchschnittlich 13,6 % (2021: 15,6 %). Dabei muss man allerdings die bei 21,6 % liegende Industrieinflation und die allgemeine Teuerung von 7,9 % berücksichtigen (2021: 3,1 %).
Bei der Betrachtung der Umsatzentwicklung haben sich die Werte im Jahresvergleich wenig verändert: So vermeldeten knapp 80,9 % der befragten Unternehmen gestiegene Umsätze – was 2021 bei 82 % der Fall war. Gesunkene Umsätze gaben dagegen nur 17,5 % der Unternehmen an. 2021 mussten knapp 16 % ein Minus hinnehmen. Im Jahresverlauf hat sich auch hier nur wenig verändert: Im ersten Halbjahr vermeldeten 79 % der Befragten gestiegene, 19 % gesunkene Umsätze.
Die Geschäftserwartung ist ebenfalls eher positiv: 45,5 % erwarten in den nächsten sechs Monaten steigende Umsätze (2021: 55 %). 40,9 % erwarten keine Veränderung (2021: 40 %), während 13,6 % in den nächsten sechs Monaten mit geringeren Umsätzen rechnen (2021: 5 %). Wenngleich die Werte nicht so günstig sind wie im Vorjahr, liegen sie doch deutlich über den Aussichten der wvib-Umfrage zum ersten Halbjahr: Damals gingen nur 35 % von steigenden, 48 % von stagnierenden und 16,5 % von fallenden Umsätzen aus.
Um die Umfrageergebnisse leichter interpretierbar zu machen, hat sich der wvib in diesem Jahr zu einer veränderten Darstellung entschieden: So saldiert der wvib – wie vom Ifo-Index vorgemacht – positive und negative Umsatzentwicklung zur Geschäftslage bzw. positive und negative Umsatzerwartung zur Geschäftserwartung. Das Mittel zwischen Geschäftslage und Geschäftserwartung bildet das wvib-Geschäftsklima.
Zum Gesamtjahr 2022 lag die wvib-Geschäftslage bei 63,4 Punkten (2021: 65,5; 1. HJ 2022: 60) und die Geschäftserwartung bei 31,8 Punkten (2021: 49,8; 1. HJ 2022: 18,8) Das wvib-Geschäftsklima hat sich damit im Vergleich zum ersten Halbjahr von 38,5 auf 47,1 erhöht, ist allerdings noch nicht auf den Wert von 57,5 Punkten aus 2021 zurückgekehrt.
Betrachtet man die Umsatzentwicklung im Detail, so liegen die wvib-Branchencluster Automotive (14,2 %), Maschinenbau (15 %) und Medizintechnik (15,4 %) mit ihren Zuwächsen über dem durchschnittlichen Umsatzplus.
Weniger gut schlagen sich dagegen die Branchen Kunststoff (6,1 %) und – nur knapp unter dem Durchschnitt – Metallverarbeitung (11,1 %). Gut zugelegt haben dagegen die notorisch wachstumsstarken Mess- und Regeltechnikunternehmen: Hier liegt das Plus bei 15 %.
In den drei Clustern rechnet man mit einem guten ersten Halbjahr 2023: Im Automotive-Cluster erwarten 47 % steigende Umsätze, während die Zukunftserwartungen im Maschinenbau (49,5 %) und der Medizintechnik (55,4 %) sich sogar noch deutlicher vom Industriedurchschnitt abheben. Weniger positiv blicken die reinen Metallverarbeitungs-Unternehmen in die Zukunft: Hier rechnen nur 29,9 % mit steigenden und 22,7 % mit fallenden Umsätzen.
Das wvib-Geschäftsklima für das Automotive-Cluster liegt derzeit bei 49,4 Punkten – im ersten Halbjahr lag der Wert noch bei 31,9 Punkten, während er zum Ende des Vorjahres bei 51,7 Punkten lag. Im Cluster Maschinenbau ist das Geschäftsklima dagegen etwas gestiegen: von 44,8 auf 46,3. Anders dagegen in der Medizintechnik: Hier liegt das Geschäftsklima derzeit bei 55,5 Punkten und damit deutlich über dem Gesamtschnitt. Vor sechs Monaten lag der Index mit 31,4 Punkten deutlich unter dem gesamten Index – vor einem Jahr lag er bei 49,9 Punkten.
In den von den gestiegenen Energiekosten gebeutelten Kunststoffunternehmen der Schwarzwald AG stellt sich die Lage nochmals anders dar: Hier liegt das Geschäftsklima derzeit bei 45,4 Punkten. Vor sechs Monaten stand der Index hier bei 34,6 Punkten, während er zum Ende des Jahres 2021 bei 51,8 lag.
Auch die energieintensiven Metallverarbeiter in der Schwarzwald AG leiden überproportional unter hohen Kosten für Strom und Gas: Derzeit liegt das Geschäftsklima mit 39,5 Punkten noch immer unter dem Durchschnitt. Noch dramatischer stellte sich die Lage im Sommer dar. Damals lag das Geschäftsklima in dieser Branche bei 25,3. Zum Ende des letzten Jahres lag er noch bei knapp 57 Punkten.
Beim Auftragseingang wird eine Abkühlung sichtbar, nachdem noch 2021 von der Post-Corona-Erholung gekennzeichnet war. Wo damals ein Plus von 22,1 % stand, flachte dieses 2022 auf einen – immer noch guten Wert – von 6,4 % ab. Zum Halbjahr 2022 sind die Auftragseingänge im Schnitt um 11,4 % gestiegen.
Bei 59,4 % verbesserte sich der Auftragseingang im Vergleich zum Vorjahr (2021: 69 %), während er sich bei 25,8 % (2021: 9 %) verschlechterte. Zum Halbjahr 2022 vermeldeten 65 % der Befragten einen steigenden Auftragseingang.
Auch beim Blick auf die Zukunft der Auftragseingänge sind die Unternehmen zusehends vorsichtiger: Aktuell erwarten 31,2 % der befragten Unternehmen einen steigenden Auftragseingang, im letzten Jahr gingen knapp 35 % von einem Anstieg aus. Dagegen rechnen knapp 47 % mit unveränderten Auftragseingängen (2021: 52 %), während 21,8 % für die nächsten sechs Monate mit einem sinkenden Auftragseingang rechnen (2021: 13 %).
Auf die Frage "Wie beurteilen Sie die aktuelle Ertragslage?" antworteten 38,7 % der befragten Unternehmen mit "gut" (2021: 46 %), 47,1 % mit "befriedigend" (2021: 43 %) und 14,2 % mit "schlecht" (2021: 11 %).
Beim Ertrag gehen nur 20 % von einer Verbesserung aus – 2021 waren es noch knapp 25 %. Rund 61,5 % rechnen mit keiner Veränderung (2021: 62 %), 18,5 % mit fallenden Erträgen (2021: 13 %).
Die konjunkturellen Schwankungen hatten im vergangenen Jahr nur wenig Einfluss auf die Zahl der Arbeitsplätze in der Schwarzwald AG: 55,7 % der befragten Unternehmen haben ihre Belegschaft vergrößert (2021: 59 %, 2020: 27 %), während 29,9 % sinkende Beschäftigtenzahlen verzeichneten. 2021 war dies noch bei 28 % der Unternehmen der Fall. Bei 14,4 % hat sich die Anzahl der Beschäftigten dagegen nicht verändert (2021: 13 %). Auch in einem unruhigen Umfeld läuft der Jobmotor Schwarzwald AG weiter ruhig und zuverlässig.
Die Prognosen zur Entwicklung der Mitarbeiterzahl sind ebenfalls überwiegend positiv: 39 % rechnen mit einer vergrößerten Belegschaft (2021: 45 %), 53,7 % gehen von einem gleichbleibenden Personalstamm aus. Knapp 7 % erwarten dagegen einen Rückgang – gegenüber 4 % im Vorjahr.
Bei der Kapazitätsauslastung hat sich für die Unternehmen im vergangenen Jahr kaum etwas geändert: 21,6 % vermeldeten eine sehr hohe Auslastung, bei 40,1 % war sie unverändert. 38,3 % meldeten dagegen eine weniger gute Auslastung. Im Vorjahr lagen diese Werte bei 21, 43 und 36 %.
Nachdem die Investitionsquote im Jahr 2021 auf rund 4 % gefallen war, lag sie im Jahr 2022 wieder bei 6,2 %. Knapp 41 % der befragten Unternehmen vermeldeten einen Anstieg der Investitionen (2021: 48 %). In den nächsten sechs Monaten rechnen noch 35,8 % mit steigenden, knapp 17,6 % mit sinkenden Investitionen. 2021 gingen nur 9 % von einem Rückgang aus.
Die Antworten auf die Zusatzfrage “Wo liegt 2023 Ihre unternehmerische Priorität, wofür geben Sie Geld aus?“ zeigen: Die Unternehmen bemühen sich nach Kräften, das eigene Unternehmen zu optimieren, um so mögliche Nachteile von außen – vor allem Energiepreise und Lohnkosten – durch Effizienzgewinne auszugleichen. Für 59 % der Befragten liegt eine Priorität in der Optimierung der Produktion, etwa durch Automatisierung und die Verbesserung von Abläufen, knapp 55 % wollen 2023 verstärkt in die Digitalisierung von Prozessen investieren. Ein Dauerbrenner: 54 % sehen die Suche nach qualifiziertem Personal als unternehmerische Priorität. Vierter Platz im Ranking: Energiesparen geben rund 40 % der Befragten eine dringende Priorität – dabei ist zu beachten, dass eine verbesserte Produktion für die Unternehmen wohl der beste Weg zum Einsparen von Energie ist. Überraschung: Der Aufbau resistenterer Lieferketten steht nur für 22 % der Befragten oben auf der To-Do-Liste. Sogar die Felder Vertrieb und Marketing (29,6 %) landen auf der Liste weiter oben.
Der Ausblick von wvib-Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer: „Wir stehen vor einer Schwächephase, die wir vorschnell allein auf die Ursachen Pandemie und Ukraine-Krieg schieben. Die strukturellen Probleme liegen tiefer. Wir hatten auch schon 2019 die höchsten Energiekosten und die höchsten Steuern der Welt. Der Staat weiß noch immer nicht, wie Digitalisierung und Bürokratieabbau gehen. Die öffentliche Infrastruktur liegt seit Jahrzehnten im Argen. Bei der Einwanderungspolitik sind wir konzeptionslos und reagieren nur. Wenn die Baby-Boomer alle in Rente sind, wird der Arbeitskräftemangel noch dramatischer werden. Die Bundesregierung muss das Land jetzt vom Fundament her neu aufbauen. Die Industrie hat die Kompetenzen für eine Transformation, braucht dazu aber passende Startbedingungen und weniger Gängelei.“