Bühne frei für neue Zimmer und Theater auf dem Thurner
(St.Märgen) Gleich zwei Premieren gibt es in diesen Tagen im Thurner Gebäude bei St.Märgen. Neben einer Spende für das neue timeout Robinson-Theater durch die Klett-Stiftung wurden 17 Zimmer eingerichtet.
Wochenlang haben die sechs Jugendlichen des Robinson-Projektes hart gearbeitet: Zuerst wurde ein Modell gebaut, dann mussten Bühnenelemente zugesägt, zusammengeschraubt und angemalt, Scheinwerfer installiert, Wände schwarz gestrichen und Vorhänge zum Verdunkeln des Raumes genäht werden. Natürlich durfte auch ein Bühnenvorhang aus rotem Samt nicht fehlen – wie im richtigen Theater. Nebenher wurde eifrig geprobt, sodass es jetzt endlich möglich wart: Vorhang auf und Bühne frei! Ein Teil des ehemaligen Hallenbades des Thurner Wirtshauses ist nun das timeout Robinson-Theater.
Was macht timeout?
Die timeout Jugendhilfe kümmert sich seit 17 Jahren um Kinder und Jugendliche, die den Schulbesuch verweigern oder die Schule abbrechen. „Niemanden zurücklassen!“ war damals schon unser Credo, als wir auf dem Hofgut Rössle in Breitnau, nicht weit vom Thurner entfernt, die erste Wohngruppe gründeten. Junge Menschen, die anecken, mit denen niemand klarkommt, die die Gesellschaft so gut wie aufgegeben hat, haben dort Zeit anzukommen und das Erlebte zu verarbeiten. Durch den Alltag im Rhythmus der Natur, durch land- und hauswirtschaftliche Tätigkeiten sowie eine intensive Zuwendung finden sie den Weg zurück in ein eigenverantwortliches Leben.
Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Lust, Neues zu lernen kehren von selbst zurück. In unserer Schule, angegliedert an die Freie Waldorfschule Freiburg St. Georgen, können die Jugendlichen den Hauptschulabschluss machen oder an eine Schule ihrer Wahl wechseln.
Mittlerweile hat die timeout Jugendhilfe auch drei Waldkindergartengruppen: zwei in Freiburg-Littenweiler und eine in Hinterzarten. Insgesamt betreuen wir somit fast 100 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an sechs Standorten.
Was ist das Robinson-Projekt?
Alle Kinder und Jugendlichen, die zu timeout kommen, nehmen eine dreimonatige Auszeit vom Schulunterricht, um zu sich zu finden und sich neu zu orientieren. Dabei sind sie in die täglichen Abläufe in Haus, Hof und umgebender Natur eingebunden und haben pädagogisch begleiteten Freiraum, um Fähigkeiten zu entdecken und Kreativität zu entwickeln. Wir strukturieren den Tag und gehen gleichzeitig auf ihre individuellen Bedürfnisse ein.
Manche Kinder sind nach dieser Zeit noch nicht bereit, den Schulbesuch wieder aufzunehmen. Für sie ist das Robinson-Projekt am Standort Thurner der richtige Ort. In einer kleinen Gruppe, betreut von den beiden Theater- und Erlebnispädagogen Gert Ploeg und Katharina Samson, erhalten die jungen Menschen vielfältige gestalterische Möglichkeiten. Dazu gehören Malen und Tonen, Spiel und Theater, Musizieren und Singen, Tanzen, handwerkliche Betätigung sowie Erlebnispädagogik in der Natur. Aber auch theoretischer Unterricht, die Versorgung der Alpakas und die Zubereitung des gemeinsamen Essens stehen täglich auf dem Programm. „Über das praktische Tun erfahren die Kinder Freude. Für viele ist das ein Gefühl, das sie lange nicht mehr hatten“, berichtet Gert Ploeg. „Wir üben keinen Druck aus, sondern laden sie ein, machen ihnen Lust in der Gruppe neue Erfahrungen zu sammeln.“
Der Name „Robinson-Projekt“ hat zwei Impulsgeber:
1. Robinson Crusoe: „Wir sehen uns und unsere Schüler*innen als Abenteurer und Pioniere, als Überlebenskünstler ähnlich wie die Romanfigur Robinson Crusoe: Schiffbruch erlitten, eine Insel gefunden und wir machen was draus!“
2. Sir Ken Robinson (1950-2020): Der britische Bildungsexperte, Theaterpädagoge, Autor und Berater von internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zeichnet Bildungswege auf, die die klassischen Schulmethoden auf den Kopf zu stellen scheinen. Zuerst kommen die kreativen und praktischen Lernangebote, daraus entstehen dann die wissensorientierten Erkenntnisse. So wird Bildung be-greifbar und er-fassbar.
Das sagen die Jugendlichen zum Robinson-Projekt:
„Ich gehe gerne ins Robinson, weil mich hier niemand zwingt und trotzdem lerne ich was.“ (S., 15 Jahre)
„Bei Theater müssen wir nicht mitmachen, aber alle wollen. Das macht am meisten Bock.“ (M., 12 Jahre)
„Die schauen hier nicht so auf was ich nicht kann, sondern auf was ich kann.“
(S., 13 Jahre)
„Ihr und euer wundervolles Projekt habt mir sehr geholfen. Eure realistische und ehrliche Art war das, was ich schon lange gesucht hatte.“ (A., 16 Jahre)
Das neue Robinson-Theater
„Wir spielen mit den Kindern keine vorgefertigten Theaterstücke“, erzählt Gert Ploeg, „sondern entwickeln unseren Stoff selbst durch Improvisationen.“ Keiner muss mitmachen, aber jeder darf. „Auch Zuschauen ist bei uns eine Rolle. Das muss man erst mal können, so lange ruhig sitzen und aufmerksam sein.“ Früher oder später will sich dann doch jeder auf der Bühne ausprobieren und mal in eine ganz andere Rolle schlüpfen, angespornt vom respektvollen, wertschätzenden Umgang miteinander. So sind auch die aktuellen Szenen entstanden, die es heute zu sehen gibt: „Die Robinson Schlüsselloch-Präsentationen. Einblicke in was wir hier machen“ – so haben die sechs jungen Schauspieler*innen die Momentaufnahme ihrer Arbeit genannt.
Möglich wurde die Verwandlung des ehemaligen Hallenbades zum Robinson-Theater durch eine Spende der Stuttgarter Klett-Stiftung. Mit dem Geld wurden Material und Scheinwerfer gekauft, alles andere entstand durch die Kinder und Jugendlichen selbst.
Das aktuelle Projekt auf dem Thurner
Rund um das Thurner Wirtshaus, das in den vergangenen Jahren renoviert und zu Gasthaus und Herberge ausgebaut wurde, soll nun timeout Thurner in St. Märgen weiter entwickelt werden zu einem Lebens-, Arbeits- und Bildungsort für Jung und Alt. Zusätzlich zum Robinson-Projekt und der sozialen Landwirtschaft mit den Alpakas sollen hier unter anderem entstehen:
• eine Grund- und Werkrealschule in freier Trägerschaft,
• handwerkliche Lehrwerkstätten mit Digitallabor,
• ein Waldkindergarten,
• der Natur- und Erlebnisbereich Curiositum,
• eine Backmanufaktur,
• eine Naturkäserei,
• ein Deli (Spezialitätenladen mit Imbiss),
• ein Familienberatungszentrum sowie
• eine Akademie für intergenerative Betreuung, Pädagogik und Lebenspraxis.
Und seit wenigen Tagen gibt es jetzt schön eingerichtete 17 Doppel- und Einzelzimmer sowie eine Ferienwohnung.
Unser Bild von Matthias Reinbold zeigt einen Blick in ein Einzelzimmer.